Am frühen Morgen des 26. April 1986 explodierte der vierte Reaktor im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl. 34 Jahre später ist die Radioaktivität von Tschernobyl immer noch im Umlauf. Die langlebigen Radionuklide, die bei dem Unfall freigesetzt wurden, bedeuten, dass die Katastrophe noch Jahrzehnte später andauert.
Die Waldbrände begannen am 3. April aufgrund des ungewöhnlich heißen, trockenen und windigen Wetters. Es handelt sich um die größten Brände, die jemals in der Sperrzone von Tschernobyl verzeichnet wurden. Es wird Jahre dauern, bis sich eines der größten Naturschutzgebiete Europas erholt hat.
Mit dem Waldteam von Greenpeace Russland und dem Global Mapping Hub habe ich diese Waldbrände seit ihrem Beginn verfolgt. Satellitenbilder zeigen, dass bisher schätzungsweise 57 000 Hektar der Sperrzone von Tscherbobyl verbrannt sind. Das sind 22 % der Gesamtfläche der Sperrzone.
Während ich dies schreibe, drei Wochen nach Beginn der Brände, brennen mindestens drei der größten Brände weiter. Einer von ihnen befindet sich in der Nähe des alten Kernkraftwerks, nur 4 km vom Sarkophag entfernt. Hunderte von schlecht ausgerüsteten Feuerwehrleuten und Förstern versuchen derzeit, die Brände in der Nordukraine unter Kontrolle zu bringen.
Der Wind hat einen Teil des Rauches über bewohnte Gebiete getragen. Am 16. April verursachten die Rauchschwaden Smog im 250 Kilometer entfernten Kiew, und obwohl sie die Grenzwerte nicht überschritten, wurden höhere Radioaktivitätswerte als üblich festgestellt. Rauch und Asche haben auch die Grenzen überschritten: Die norwegische Behörde für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit registrierte einen leichten Anstieg der Cäsium-137-Konzentration in der Luft in Norwegen.
Eine erhöhte Aktivität von Cäsium-137 und anderen Radionukliden in der Luft kann zu einem Anstieg der Krebsraten führen. Wer das Feuer riechen kann, könnte diese radioaktiven Stoffe auch einatmen.
Es stimmt also, dass mit dem Feuerdunst potenziell gefährliche Radionuklide mitreisen. Das liegt daran, dass sich in den Wäldern seit 1986 Radioaktivität angesammelt hat, die sich vor allem im Holz und in den oberen Bodenschichten befindet. Aus diesem Grund wird den Dorfbewohnern, die in den kontaminierten Gebieten leben, das Recht auf Nutzung des Waldes für die nächsten 300 Jahre entzogen. Die „Sperrzone“ um das Kernkraftwerk Tschernobyl ist auch 34 Jahre später noch stark mit Cäsium-137, Strontium-90, Americium-241, Plutonium-238 und Plutonium-239 kontaminiert. Die Plutoniumpartikel sind die giftigsten: Sie sind schätzungsweise 250 Mal schädlicher als Cäsium-137.
Das Feuer setzt diese Partikel in die Luft frei, wo der Wind sie über weite Strecken transportieren kann, wodurch sich die Grenzen der radioaktiven Verseuchung schließlich ausweiten. Derzeit gibt es keine Daten darüber, wie viel nukleares Material durch diese Brände in die Atmosphäre gelangt ist, so dass wir nicht wissen, wie weit sie sich ausgebreitet haben. Da es sich um schwere Partikel handelt, ist es möglich, dass sich der größte Teil der Radionuklide innerhalb der Sperrzone und der nächstgelegenen Umgebung absetzen wird.
Wir wissen von früheren (kleineren) Bränden, die sich 2015 in dem Gebiet ereignet haben, dass Wissenschaftler eine Freisetzung von 10,9 TBq Cäsium-137, 1,5 TBq Strontium-90, 7,8 GBq Plutonium-238 , 6,3 GBq Plutonium-239, 9,4 GBq Plutonium-239 und 29,7 GBq Americium-241 festgestellt haben. Es ist klar, dass die Zahlen in diesem Jahr höher sein werden.
In der Nähe der Brände sind Feuerwehrleute und die örtliche Bevölkerung Risiken durch Einatmen von Rauch und Strahlung ausgesetzt. Städte wie Kiew sind kurzfristig den gesundheitlichen Folgen des Einatmens von Rauch ausgesetzt und riskieren längerfristig eine innere Verstrahlung durch kontaminierte Beeren, Pilze und Milch, die auf den lokalen Märkten gekauft werden. Niemand ist davor gefeit, dass radioaktive Produkte in seine Wohnung gelangen.
Die Folgen von Tschernobyl sind immer noch präsent. Die Menschen sind immer noch gefährdet; sie sind exponiert und kämpfen an vorderster Front. Waldbrände in verstrahlten Gebieten sind ein großes Problem für die Ukraine, Weißrussland und Russland, wo nach offiziellen Angaben immer noch 5 Millionen Menschen in verstrahlten Gebieten leben. Diese Brände ereignen sich fast jedes Jahr.
Die Feuerwehreinheit von Greenpeace Russland hat bereits mehrmals geholfen, die Brände in den verstrahlten Gebieten zu löschen. In diesem Jahr konnten unsere Feuerwehrleute wegen der Coronavirus-Pandemie nicht vor Ort helfen.
Diese Waldbrände belasten ein Katastrophenschutzministerium, das sich bereits mitten in einer Gesundheitskrise befindet. Dies zeigt, dass andere Notfälle durch nukleare Zwischenfälle verschlimmert werden können – eine Situation, auf die wir wenig oder gar keinen Einfluss haben.
Die Risiken im Zusammenhang mit der Kernenergie selbst werden durch mangelnde Transparenz verschlimmert: Zu Beginn der Brände wurden in den ersten offiziellen Berichten die Brandflächen um das 600-fache verkleinert. Die Geheimniskrämerei war einer der Gründe, warum die Katastrophe von Tschernobyl 1986 so schwerwiegend war: Später wurde vor Gericht bestätigt, dass selbst der Direktor des Kernkraftwerks Tschernobyl nicht über eine Katastrophe im Kernkraftwerk Leningrad im Jahr 1975 informiert war, die Hinweise auf das Geschehen in Reaktor 4 gegeben hätte.
Tschernobyl wird noch für viele Generationen eine Bedrohung darstellen.
Rashid Alimov, ist Aktivist für Atomkraft bei Greenpeace Russland.