Physiologische Funktionen von Glukokortikoiden bei Stress und ihre Beziehung zu pharmakologischen Wirkungen

Fast jede Art von Bedrohung der Homöostase oder Stress führt zu einem Anstieg der Plasmaglukokortikoidspiegel. Den erhöhten Spiegeln wird traditionell die physiologische Funktion zugeschrieben, die Widerstandskraft des Organismus gegen Stress zu erhöhen, eine Rolle, die in der Glukokortikoidtherapie gut anerkannt ist. Wie die bekannten physiologischen und pharmakologischen Wirkungen der Glukokortikoide diese Funktion erfüllen können, bleibt jedoch ein Rätsel. Eine Verallgemeinerung, die sich allmählich herauskristallisiert, ist, dass viele dieser Wirkungen sekundär auf die Modulation der Wirkung zahlreicher interzellulärer Mediatoren durch Glukokortikoide zurückzuführen sein könnten, darunter etablierte Hormone, Prostaglandine und andere Arachidonsäure-Metaboliten, bestimmte sezernierte neutrale Proteinasen, Lymphokine und eine Vielzahl bioaktiver Peptide. Diese Mediatoren sind an physiologischen Mechanismen beteiligt – endokrine, renale, immunologische, neurale usw. -, die eine erste Verteidigungslinie gegen Herausforderungen der Homöostase wie Blutungen, Stoffwechselstörungen, Infektionen, Angstzustände und andere bilden. Entgegen der traditionellen Auffassung, dass Glukokortikoide diese Abwehrmechanismen verstärken, wird jedoch immer deutlicher, dass Glukokortikoide in moderaten bis hohen Dosen diese Mechanismen im Allgemeinen unterdrücken. Dieses Paradoxon, das erstmals auftauchte, als man entdeckte, dass Glukokortikoide entzündungshemmende Wirkstoffe sind, ist nach wie vor ein großes Hindernis für ein einheitliches Bild der Glukokortikoidfunktion. Wir schlagen vor, dass stressbedingte Erhöhungen des Glukokortikoidspiegels nicht vor der Stressquelle selbst schützen, sondern vielmehr vor den normalen Reaktionen des Körpers auf Stress, indem sie verhindern, dass diese Reaktionen überschießen und die Homöostase gefährden. Diese Hypothese, deren Keimzelle in vielen Diskussionen über bestimmte Glukokortikoidwirkungen zu finden ist, erklärt unmittelbar das oben erwähnte Paradoxon. Darüber hinaus bietet sie der Glukokortikoid-Physiologie einen einheitlichen konzeptionellen Rahmen, der so scheinbar nicht zusammenhängende physiologische und pharmakologische Wirkungen wie die auf den Kohlenhydratstoffwechsel, Entzündungsprozesse, Schock und Wasserhaushalt berücksichtigen kann. Es führt uns auch zu der Annahme, dass einige der Enzyme, die durch Glukokortikoide schnell induziert werden, wie z. B. die Glutaminsynthetase, Mediatoren entgiften, die während der stressbedingten Aktivierung der primären Abwehrmechanismen freigesetzt werden. Diese Mediatoren würden selbst zu Gewebeschäden führen, wenn sie unkontrolliert bleiben.

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